19.04. 13:22

Dollar und Euro auf Augenhöhe? - Timing bei Zinswende macht's möglich

- von Reinhard Becker und Frank Siebelt

Berlin/Frankfurt (Reuters) - Dollar und Euro beim Wechselkurs praktisch gleichauf: Dieses Szenario einer Parität könnte Wirklichkeit werden, wenn die Zinswende in den USA weit später eingeleitet wird als im Euroraum - wonach es derzeit aussieht.

Die Experten der Commerzbank erwarten bei deutlich veränderten Zinsdifferenzen zum Jahresende einen Fall des Euro-Wechselkurses in Richtung des Gleichstandes: "Das Abkoppeln der EZB von der Fed vergrößert den erwarteten Zinsnachteil des Euro und spricht für eine weitere Abwertung des Euro", so Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer und Fed-Beobachter Bernd Weidensteiner. Von derzeit rund 1,06 Dollar dürfte der Kurs demnach auf 1,04 Dollar zum Jahresende abbröckeln.

Dabei unterstellen die Experten, dass die US-Notenbank Federal Reserve die erste Zinssenkung erst im Dezember einleitet, die EZB aber bereits im Juni den ersten Lockerungsschritt geht und drei weitere nach unten folgen lassen wird. Auf der Jagd nach Rendite werden die Kapitalströme der Investoren in den Währungsraum gelenkt, der ihnen höhere Zinsgewinne verspricht. "Diese divergierende Entwicklung der Zinserwartungen diesseits und jenseits des Atlantiks dürfte hauptursächlich für die jüngste Stärke des US-Dollar gewesen sein", meint auch LBBW-Investmentanalyst Dirk Chlench. Seit Mitte Dezember hat der Euro zum Dollar bereits rund vier Prozent an Wert eingebüßt.

Wenn die Fed also das Leitzinsniveau von 5,25 bis 5,50 Prozent bis Dezember beibehält und die EZB ihren geldpolitischen Schlüsselsatz bis dahin in die Nähe von drei Prozent absenkt, wie es Sloweniens Notenbankchef Bostjan Vasle prophezeit, geht die Zinsschere weit auf. Im Euroraum liegt der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Banken erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, aktuell bei 4,00 Prozent.

Hinter der Zinsdifferenz stehen handfeste Gründe: Im Euroraum dümpelt die Wirtschaft vor sich hin, während das Inflationsgespenst seinen Schrecken weitgehend verloren hat. In den USA dagegen sieht es ganz anders aus: Die Wirtschaft trotzt der Hochzinspolitik und wächst weiter solide. Allerdings bekommt die Notenbank die hartnäckige Inflation nicht so recht in den Griff, was an einer Teuerungsrate von zuletzt 3,5 Prozent deutlich abzulesen ist. Wie die EZB strebt auch die Fed zwei Prozent an und will sichergehen, dass sich die Teuerungsrate nachhaltig diesem Zielwert nähert.

Angesichts der zähen Inflation in den USA wird an den Finanzmärkten eine Zinssenkung der Fed inzwischen frühestens im September erwartet - ein weiterer Schritt im Dezember gilt als unsicher. Noch vor wenigen Wochen war über den Juni als wahrscheinlichen Zeitpunkt für eine erste Senkung spekuliert worden. Fed-Vizechef Philip Jefferson erwähnte jüngst das Thema Zinssenkungen mit keiner Silbe mehr. Selbst Zinserhöhungen gelten bei ausbleibenden Erfolgen an der Inflationsfront nicht mehr als tabu, wie aus Äußerungen der Fed-Oberen herauszuhören ist.

SCHWACHER EURO SORGT BEI EZB FÜR SORGENFALTEN

Im Euroraum befindet sich die Inflation hingegen im Sinkflug und Zinserhöhungen sind daher derzeit kein Thema: 2,9 Prozent Teuerung im Dezember, 2,8 Prozent im Januar, 2,6 Prozent im Februar und zuletzt im März 2,4 Prozent sprechen für sich. Noch im Herbst 2022 waren es zeitweise über zehn Prozent gewesen. Das Zwei-Prozent-Ziel ist in Reichweite gerückt und so hat EZB-Vizechef Luis de Guindos im Europaparlament jüngst eine für Notenbanker ungewöhnlich klare Botschaft gesendet: Wenn alles so weiterläuft, wird die EZB im Juni bereit sein für die erste Zinssenkung.

Doch das Wechselkursthema erschwert der EZB inzwischen die Inflationsbekämpfung - zumal durch den eskalierenden Konflikt in Nahost auch die Gefahr eines Ölpreisschubs zugenommen hat. "Der Euro in Parität und Ölpreise bei 100 Dollar je Barrel könnten die bisher eher günstige Inflationsprognose schlagartig in eine beunruhigende verwandeln", meinen Chefvolkswirt Carsten Brzeski und Devisenexperte Francesco Pesole vom Bankhaus ING. Ihre Warnung klingt plausibel: Denn mit einem schwachen Euro werden Güter auf dem Weltmarkt teurer, was über den Importweg die Inflation anheizt. Und die Euro-Zone importiert viel Energie.

In der Führungsspitze der EZB wird diese ungünstige Gemengelage genau verfolgt. EZB-Präsidentin Christine Lagarde wiederholte jüngst zwar das Mantra der Notenbank, dass sie kein Wechselkursziel verfolge. Doch sie ergänzte diesmal: "Offensichtlich müssen wir die Auswirkungen berücksichtigen, die Wechselkursschwankungen auf unsere Inflation haben." Die EZB schaue sich das sorgfältig an. Die ING-Experten Brzeski und Pesole sehen daher für die Währungshüter trotz einer aktuell günstigen Entwicklung der Verbraucherpreise eine Gefahr heraufziehen: "Die Kombination aus einem weiter sinkenden Euro-Wechselkurs, geopolitischen Spannungen und steigenden Energiepreisen könnte erneut Inflationssorgen hervorrufen und den Handlungsspielraum der Europäischen Zentralbank einschränken."

(Mitarbeit Daniela Pegna, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)